Bauhaus in Saporischschja: Wie das Nachdenken über modernistische Architektur den Menschen das Recht auf ihre Stadt zurückgibt
Im Jahr 2021 sind die Kyjiwer Gespräche in fünf Regionen der Ukraine aktiv: Poltawa, Ternopil, Wolyn, Saporischschja und Winnyzja. Im Rahmen unserer Reportagen-Serie "Was die Region bewegt" berichten wir von interessanten Entwicklungen vor Ort.
In Saporischschja empfiehlt man Tourist*innen meist einen Besuch auf der Insel Chortyzja und am Dnipro-Staudamm oder einen Bummel entlang der Haupteinkaufsstraße. Dabei kann man nur einen Steinwurf entfernt von dieser Straße auf etwas wirklich Besonderes stoßen: auf einen Stadtbezirk mit einzigartiger Bauweise, dessen Viertel lange unentdeckt blieben. Bis ein paar Architekturbegeisterte auf die Ähnlichkeiten zwischen den Gebäuden in Saporischschja und dem deutschen Bauhaus hinwiesen. Die Neuentdeckung des Bezirks hilft den Einheimischen auch das Recht auf ihre Stadt nach der langen Zeit der (post)sowjetischen Lethargie zurückzuerobern.
Von Kateryna Maiboroda und Inna Stashchuk, Saporischschja. Aus dem Ukrainischen von Beatrix Kersten.
1919 gründete der deutsche Architekt Walter Gropius das Staatliche Bauhaus als Kunstakademie, die wegen ihres revolutionären gestalterischen Ansatzes rasch zu Weltruhm gelangte. Die grundlegenden Prinzipien des Bauhauses waren Funktionalität und Minimalismus, die Kombination von Massenproduktion mit der erkennbaren Handschrift der Designer*innen, eine Ästhetik des Alltäglichen und eine Kunst des Sozialen. In der Architektur bündelten sich diese Anliegen in der Idee der Minimalwohnung und in der Suche nach neuen Formen beim Bau von Wohngebäuden, die allen Menschen zugänglich sein sollten.
Fast zur selben Zeit entstand 2000 Kilometer Richtung Osten eine Stadt, die sich zu beiden Seiten des Flusses Dnipro erstreckte. Die letzten Jahre des Bauhauses fielen zusammen mit dem Bau des großen Wasserkraftwerks Dnipro HES, dem Saporischschja seinen rasanten Aufstieg und das Etikett „Stadt der Zukunft ” verdankt.
Anlässlich des Kraftwerksbaus (1927) wurden Tausende Menschen angesiedelt. Es war ein gigantisches und ehrgeiziges Projekt. Für ehemalige Bäuerinnen und Bauern, Militärangehörige und Arbeiter*innen aus anderen Städten und Ländern musste bezahlbarer Wohnraum bereitgestellt werden. Typische Arbeiterunterkünfte schossen aus dem Boden, zunächst in Barackenbauweise, nur ebenerdig und mit Etagenbetten möbliert. Dann kam die Idee eines „Neuen Saporischschja“ auf, und die Arbeitersiedlungen wurden zum Experimentierfeld für junge Architekt*innen.
Einfachheit und Funktionalität, Prägnanz und Geometrie sind typische Merkmale des Konstruktivismus in der Architektur
Die Sechste Siedlung, oder auch Sozstadt Saporischschja, ist ein einzigartiges Beispiel für die Planung und den Bau eines ganzen Stadtteils im Stil des Konstruktivismus, einer architektonischen Strömung, die in den 1920er Jahren weit verbreitet war. Es ging dabei nicht nur um einzelne Häuser, sondern um die gesamte öffentliche Infrastruktur: Kindergärten und Schulen, Klubs, Krankenhäuser und Kantinen. Konstruktivistische Architektur zeichnet sich durch ihre einfachen geometrischen Formen und ihre lakonische Präzision aus, es gibt nichts Überflüssiges, alles hat einen praktischen Nutzen.
Das Experiment währte nicht lange. Unter Stalin stießen modern eingestellte Architekt*innen auf Gegenwehr, und das „Neue Saporischschja”, auch „Groß-Saporischschja” genannt, wurde nicht fertiggebaut. Aber auch das, was realisiert werden konnte, ist noch heute beeindruckend.
Blick auf das Industriegelände hinter den Gebäuden der Sozstadt
Pavlo Kravchuk, ein führender Spezialist für historisches und kulturelles Erbe beim Amt für Kultur und Tourismus des Stadtrats Saporischschja, ist der Meinung, dass die Sozstadt ein sprechendes Beispiel sei für einen geistigen Horizont, der den heutigen politischen Eliten fehle:
„Es ist gut, dass wir das totalitäre Denken hinter uns gelassen haben. Aber wir haben damit auch von jeglicher Idee einer geplanten Entwicklung Abstand genommen. Wir leben von Projekt zu Projekt, wir können über einen Zeitraum von zwei Jahren nicht hinausdenken. Damals wurde für Jahrzehnte geplant. Diese Wahrnehmung von Raum und Zeit fehlt uns heute vollständig. Die Sechste Siedlung ist ein Denkmal und ein Weckruf: ,Leute, ihr müsst wieder lernen, groß zu denken und anders mit euren Ressourcen umzugehen.’ Denn in der Sechsten Siedlung geht es nicht nur um eine Neubebauung. Es geht darum, auf systematische Weise mit dem Stoff, der Textur einer Stadt zu arbeiten. Das brauchen wir heute wieder.”
Bei Stadtführern ist die Sechste Siedlung schon seit langem Teil des Programms. Zu den Stadtspaziergängen kamen früher hauptsächlich Tourist*innen. Die Einwohner*innen von Saporischschja konnten sich für solche Aktivitäten nur selten begeistern.
Pavlo Kravchuk, Foto: Maxim Vokhin
Das änderte sich, als eine Ausstellung in einer privaten Galerie Hunderte von Architekt*innen, Künstler*innen und Historiker*innen zusammenbrachte. Vor zehn Jahren kuratierten die Stadtplanerin Natalia Lobach und der Galerist Yuriy Barannik eine Ausstellung über die Sozstadt. Die Exponate – Fotos, Geschichten und Kunstobjekte – wurden mit der Unterstützung der Galerie-Besucher*innen zusammengetragen.
„Es geht nicht darum, dass wir die Sozstadt entdeckt hätten. Alle wussten davon. Aber wir haben den Fokus auf eine Frage gerichtet: Wie können wir diese Architektur betrachten und wie darüber sprechen?”, erklärt Natalia Lobach. „Das ist ja nicht einfach irgendetwas Sowjetisches. Das ist ein einzigartiger Erfahrungsraum, den wir haben und von dem wir lernen können.”
Die Ausstellung verursachte einiges an Aufruhr in der Kunstszene, bei lokalen Historiker*innen und auch bei den Bürger*innen. Es wurde deutlich, dass die konstruktivistischen Gebäude in Saporischschja nicht nur mit der Bauhausarchitektur und anderen modernistischen Schulen vieles gemeinsam haben, sondern auch als etwas Einzigartiges für sich stehen.
Natalia Lobach, Foto: Maxim Vokhin
„Wir hatten hier einen Konstruktivismus sowjetischer Prägung: ,Los, vorwärts, wir bauen die Zukunft’”, so Natalia Lobach. „In der Westukraine hatte man den Funktionalismus, gänzlich ideologiefrei, modisch und praktisch ... Kürzlich war ich in Tscherniwzi, wo die Menschen gegenüber Gebäuden in diesem Stil nicht gerade positiv eingestellt sind, denn sie ordnen sie in ,die rumänische Zeit’ ein. In Uschhorod dagegen gibt es eine große Gemeinschaft, die sich darum bemüht, das architektonische Erbe der tschechischen Epoche zu retten, Gleiches gilt für Lwiw. Bei unserer zweiten Ausstellung ging es dann darum, wie man Architekturen miteinander vergleicht, die ähnlich aussehen und in dieselbe Zeit fallen, zwischen denen es aber signifikante ideologische Differenzen gibt.”
Die Ausstellungen warfen viele bis dato sogar unter Fachleuten unbeantwortet gebliebene Fragen auf. Sie brachten dabei nicht nur Bürger*innen von Saporischschja zusammen, sondern zogen auch aus anderen Städten und Ländern Spezialist*innen für die Architektur der Sozstadt an:
„Bei der dritten Ausstellung haben wir uns mit Partnern aus Deutschland zusammengetan. Der deutsche Generalkonsul Wolfgang Mossinger war von der Sechsten Siedlung hingerissen. Die Ausstellung bestand aus zwei Teilen, einem in Saporischschja und einem im Deutschen Haus in Charkiw. Es kamen Deutsche, die uns sagten: ,Diese Architektur kennen wir! Das ist durch und durch Bauhaus.’ Und da hat nicht nur jemand etwas irgendwo hineininterpretiert”, meint Lobach. „Es ist tatsächlich so, dass die Architekten damals das Gleiche gefühlt und gedacht haben, in der Sowjetunion und in Deutschland. Es war eine Welle, der Sog einer Architektur, mit der man die Städte der Zukunft bauen wollte.”
Ehemaliger "Klub-Speisesaal", später und bis heute ein "Kulturpalast", Foto: Maxim Vokhin
DER WENDEPUNKT
Das Bauhaus ist Weltkulturerbe in Deutschland. In Saporischschja hingegen wussten lange Zeit weder die Einwohner*innen noch die politisch und administrativ Verantwortlichen die Sozstadt-Viertel zu schätzen. Aktivist*innen bemühten sich, die Menschen zu erreichen, die in den Häusern der Sozstadt lebten, und organisierten Freiluftausstellungen, Zusammenkünfte und Vorträge zur Lokalgeschichte. So gelang es ihnen, Gleichgesinnte zusammenzubringen. Allerdings stießen etwa die gemeinsam formulierten Forderungen von Stadtplaner*innen und aktiven Bürger*innen, die überdimensionierten Werbetafeln von den historischen Fassaden zu entfernen, bei den Mitgliedern des Stadtrats zunächst auf taube Ohren.
So ging es bis 2017 weiter, als eine internationale Konferenz zur Erhaltung des modernistischen Erbes in der Ukraine und Deutschland stattfand, die Wissenschaftler*innen sowie Vertreter*innen von Organisationen, lokalen Autoritäten und der Unternehmerschaft an einen Tisch brachte. Architekt*innen der Weimarer Bauhaus-Universität kamen nach Saporischschja und entwickelten gemeinsam mit Student*innen der Fachrichtungen Bauwesen und Architektur der Charkiwer Universität Vorschläge zum Erhalt der modernistischen Gebäude. Die von den Konferenzteilnehmenden unterzeichnete Resolution brachte die Sozstadt endgültig ins Bewusstsein der städtischen Autoritäten.
„Es ist mittlerweile leichter, beim Erhalt der Sechsten Siedlung Verbündete zu finden. Früher war man ganz auf den Wert der Gebäude entlang der zentralen Verkehrsachsen fokussiert, etwa am Soborny Prospekt oder am Prospekt Metallurhiw”, sagt Pavlo Kravchuk. „Dort gelten die Gebäude als ,schön’, weil die Fassaden mit klassizistischen Elementen gespickt sind. Dass sich dahinter ein typisch modernistisches Innenleben verbirgt, war nicht von Interesse. Es gab kein Verständnis für dessen Wert. Die Konferenz hat den Wert der Sechsten Siedlung insgesamt in der Abschussresolution dokumentiert. So kam die Frage auf, wie man es schaffen könnte, zusätzlich zu den Gebäuden entlang der großen Straßen auch den gesamten Bezirk mit allen Facetten in den Blick zu nehmen.”
Pavlo Kravchuk neben dem Wandgemälde des Künstlers Max Grimm (Magdeburg) an der Fassade der Musikschule №3, Foto: Maxim Vokhin
Im Anschluss an die Konferenz begann für Pavlo und seine Kolleg*innen der lange und aufwändige Prozess, die Gebäude in der Sozstadt zu erfassen und zu dokumentieren. Die deutsch-ukrainische Zusammenarbeit wurde währenddessen fortgesetzt: Zum Jubiläumsjahr „Hundert Jahre Bauhaus” schuf der Magdeburger Künstler Max Grimm ein Wandbild an der Musikschule im Herzen der Sechsten Siedlung. Es zeigt Szenen aus einem futuristischen Ballett von Oskar Schlemmer, der als Maler und Bühnenbildner am Bauhaus lehrte.
Nach Jahrzehnten des Vergessens und der Vernachlässigung ist der Konstruktivismus aus Saporischschja zu einer Marke geworden. Im vergangenen Jahr eröffnete das Interaktive Museum für Architektur in Saporischschja, wo dem Konstruktivismus ein eigener Saal gewidmet ist. In diesem Frühjahr brachte die gemeinsame Anstrengung von Aktivist*innen und Spezialist*innen für den Schutz dieses Kulturguts erste Erfolge: Das Kulturministerium registrierte die Viertel der Sechsten Siedlung als stadtplanerische Einheiten. „Nun kann sich kein Bauherr eines Einkaufszentrums und kein Projektentwickler mit einer unpassenden Idee mehr dort hineindrängen”, begründet Pavlo Kravchuk die Bedeutung dieses Schritts.
Eine weitere wichtige Konsequenz ist, dass die Bürger*innen von Saporischschja die Sozstadt endlich für sich entdeckt und begonnen haben, sich für ihre Geschichte zu begeistern. Inzwischen sind bei den Stadtführungen mehr Einheimische als Tourist*innen anzutreffen.
"Propyläen-Häuser", gebaut in 1930er Jahren. Inspiriert von der antiken Architektur, Foto: Maxim Vokhin
SO ENTSTEHT LIEBE
Roman Akbash hat während der letzten zehn Jahre jede Woche Menschen durch Saporischschja geführt. Er gehörte auch zu denjenigen, die Exponate zur allerersten Ausstellung über die Sozstadt beisteuerten. In seinem Fall war es eine Sammlung seltener Fotografien.
„Die Veranstaltungen in der Galerie Barannik haben meine Führungen bereichert und einen Ball ins Rollen gebracht”, sagt Roman Akbash. „Vor zehn Jahren kamen viel weniger Menschen zu den Spaziergängen durch das Sechste Viertel. Jetzt berichten führende Medien über den Stadtteil. Das Forbes Magazine hat das gesamte Sechste Viertel in seinem Spezialheft „Schönes Land” auf die Liste der Top-Bauten moderner Architektur in der Ukraine aufgenommen. Nachdem die Zeitschrift erschienen war, bekam ich Anrufe, Leute interessierten sich für Führungen. Vor dem Lockdown hatte ich bei jeder Tour hundert Besucher*innen. Meinen Schätzungen nach haben über 10 000 Bürger*innen von Saporischschja schon an den Spaziergängen teilgenommen.“
Ein Stadtspaziergang mit Roman durch die Sechste Siedlung dauert drei Stunden, was lang scheint für einen relativ kleinen Stadtteil. Auch Anwohner*innen gesellen sich manchmal dazu. Vor ein paar Jahren waren sie noch überrascht, auf einmal eine Menschentraube in ihrem Innenhof zu sehen, noch dazu mit Mikrofon.
Roman Akbash bei der Stadtführung, Foto: Maxim Vokhin
Leider behandeln nicht alle Bewohner*innen der Sozstadt ihre Häuser so, wie es Architekturdenkmälern angemessen wäre. Der Blick auf die Fassaden wird oft durch Klimaanlagen, Anbauten und ausufernde Balkongestaltungen gestört.
Während des Spaziergangs kommt eine alte Dame mit Gehhilfe an die Schwelle ihres Vorbaus, der in einem eleganten Garten liegt: Maria Maksymovna, 91 Jahre alt.
1943 wurde sie als damals 13-Jährige zur Fabrikarbeit aus ihrem Dorf geholt. Zehn Jahre später bekam sie eine Wohnung in der Sozstadt zugewiesen und wohnt seither dort. Ihr Vorbau entstand 1978, als es noch keine Stadtplaner*innen oder Aktivist*innen im heutigen Sinne gab. Das kleine Gebäude ist gemütlich, ein Tisch und ein Sofa stehen darin, und die alte Dame trinkt dort Tee mit ihren Freundinnen. Maria Maksymovna freut sich, dass um ihr Haus herum Führungen stattfinden, ihr Garten ist in der Nachbarschaft sehr beliebt.
Das Problem der Anbauten wurde virulent, als die Sechste Siedlung den Status eines Architekturensembles von lokaler Bedeutung zugesprochen bekam. Immerhin wird die herkömmliche Praxis zunehmend verurteilt und Bewohner*innen reagieren nun selbst auf Fälle, in denen Gebäude durch das Anbringen von Klimaanlagen, Reklametafeln oder Balkonen Schaden nehmen. Sie initiieren Beschwerden über die Sozialen Netzwerke und verweisen auf Roman Akbash, Pavlo Kravchuk, Natalia Lobach, das Amt für Architektur und Stadtplanung oder den Bauausschuss. Posts dieser Art werden häufig massenhaft geteilt und kommentiert, so dass sich die städtischen Autoritäten gezwungen sehen, öffentlich auf den Unmut zu reagieren und entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Die Vision der Einzigartigkeit ihrer Stadt lehrt die Menschen in Saporischschja, Verantwortung zu übernehmen.
Maria M. wohnt in der Sozstadt fast 70 Jahre lang, Foto: Maxim Vokhin
Im August 2021 brach in einem der Gebäude der Sechsten Siedlung ein Großbrand aus, als Gasflaschen explodierten, die man nach einer Dachreparatur liegengelassen hatte. Dutzende Familien wurden obdachlos. Um einer jungen Arztfamilie aus dem obersten Stockwerk zu helfen, organisierte Roman Akbash einen Benefizspaziergang durch das Viertel der Sozstadt, das in den 1950er Jahren als Saporischschjas Broadway gegolten hatte. Die Tour dauerte dreieinhalb Stunden und brachte mehr als 12 000 Hrywnja für die Opfer der Brandkatastrophe ein.
„Dass die Menschen von sich aus beginnen, den Wert der Sozstadt zu erkennen, ist das Beste, was passieren kann”, erklärt Natalia Lobach. „Es sind ja nicht Vorschriften und Direktiven, die etwas bewirken, sondern die innere Einsicht: Wir haben hier etwas Wertvolles und wir können stolz darauf sein.”
Ihre neue Popularität bescherte der Sozstadt nicht nur einen Zustrom interessierter Besucher*innen, sondern auch die verdiente Anerkennung und Gunst der Einheimischen. Lange Jahre wurde die modernistische Architektur in Saporischschja aus Unwissen, Gleichgültigkeit und Verantwortungslosigkeit seitens der Bürger*innen heruntergewirtschaftet.
Die Menschen sahen nicht, warum diese Gebäude Fürsorge und Aufmerksamkeit verdient hätten. Und sie glaubten auch nicht daran, aus eigener Kraft etwas bewegen zu können oder auch nur das Recht dazu zu haben.
Einige sind sich da immer noch nicht so sicher. „Ergreif nicht die Initiative. Tu, was man dir sagt”, rät Maria Maksymovna beim Abschied vor ihrem Vorbau. Sie sagt das in aller Aufrichtigkeit, doch es klingt wie ein Echo aus fernen Sowjetzeiten. Heute wirkt ein solcher Rat seltsam, sogar vor der Kulisse der Sozstadt.
Das Recht auf Stadt verdient man sich durch die Bereitschaft, an urbanen Prozessen mitzuwirken, den Wert des öffentlichen Raums zu erkennen und Verantwortung auch jenseits der eigenen vier Wände zu übernehmen. Mehr und mehr Menschen in Saporischschja holen sich dieses Recht auf ihre Stadt zurück. Die Initiativen der Wenigen – Galerien, Ausstellungen, Stadtspaziergänge, Festivals – inspirieren die Vielen und bringen ihnen bei, ihre Stadt zu lieben.