Ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer lokalen Beteiligungskultur ist in vielen Ländern der „Bürgerhaushalt“. Beim Bürgerhaushalt, auch als „partizipativer Haushalt“ oder „Beteiligungshaushalt“ bekannt, werden die Bürger in die Planung von öffentlichen Ausgaben und Einnahmen mit einbezogen.
Erfolgsmodell seit 1989
Die genaue Funktionsweise des Bürgerhaushalts variiert von Stadt zu Stadt, das Grundprinzip ist aber überall gleich: Ein bestimmter Teil des kommunalen Budgets wird den Bürgerinnen und Bürgern zur Gestaltung überlassen. Jeder kann selbst Ideen für die Verwendung der Mittel einreichen, seien es die Anlage eines neuen Sportplatzes oder bessere Abfalleimer am städtischen See. Anschließend entscheiden entweder die Bürger eigenständig oder gemeinsam mit der Stadtverwaltung, welche Vorschläge umgesetzt werden sollen. Häufig geschieht das heute über das Internet.
1989 im brasilianischen Porto Alegre erstmals eingeführt, ist der Bürgerhaushalt längst international auf dem Vormarsch. Weltweit haben bereits mehr als 1500 Kommunen einen Bürgerhaushalt eingeführt oder die Einführung beschlossen, in Deutschland sind es 101 und in der Ukraine mehr als 90.
Bis zu 5 Millionen Euro jährlich
Der Anteil des kommunalen Budgets, der dem Bürgerhaushalt zur Verfügung gestellt wird, variiert in der Ukraine von 0,5 Prozent in Dnipro bis 10 Prozent in Uschhorod im Südwesten. In einigen Städten ist dieser Anteil langfristig festgelegt, in anderen wird er von Jahr zu Jahr neu festgesetzt.
Der kleinste Bürgerhaushalt des Landes findet sich in der Kleinstadt Svitlovodsk am Dnipro mit einem Volumen von 54000 Hryvnia (etwa 1700 Euro), der größte in der Hauptstadt Kyiv mit 150 Millionen Hryvnia (5 Millionen Euro).
Bemerkenswert ist, dass sich vielerorts auch schon junge Menschen beteiligen können: In Bila Tserkva und in Myrhorod (beides Zentralukraine) sowie in Chernivtsi (Westukraine) ist das Mindestalter für Antragsteller 14 Jahre, in anderen Städten sind es 16 bis 18.
In vielen ukrainischen Städten steht der „Bürgerhaushalt“ also hoch im Kurs. Bei seiner Etablierung konnten die KIEWER GESPRÄCHE durch überregionale Informations- und Vernetzungsarbeit wertvolle Unterstützung leisten: Die Stadtverwaltungen wurden systematisch auf die Einführung vorbereitet, die Öffentlichkeit über den Ablauf informiert und aktive Bürger darin geschult, Geld für eigene Ideen im Bürgerhaushalt zu beantragen und die Stadtbewohner zur Abstimmung zu motivieren.
40 Präsentationen quer durch Slowjansk
Zahlreiche Informationsveranstaltungen wurden durch die KIEWER GESPRÄCHE durchgeführt, darunter Werbekampagnen für ein „eigenes Projekt“ im Beteiligungshaushalt und Schulungen für Bürger, Abgeordnete des Stadtrates und NGO-Vertreter.
Auch in Slowjansk im Osten des Landes konnten die KIEWER GESPRÄCHE erheblich zu der erfolgreichen Einführung des Bürgerhaushalts beitragen. Um möglichst viele Menschen zu erreichen, führte das Team der KIEWER GESPRÄCHE allein in Slowjansk 40 Präsentationen durch und erreicht damit mehr als 1000 Menschen. Damit wurde sichergestellt, dass sowohl bei der Einreichung von Projekten als auch bei der Abstimmung viele engagierte Bürgerinnen und Bürger der Stadt teilnehmen.
Das Ergebnis dieses „Premieren“-Bürgerhaushalts von Slowjansk kann sich sehen lassen: Im Antragszeitraum von März bis April 2018 wurden 36 Projekte eingereicht, von denen 25 für die allgemeine Abstimmung ausgewählt wurden.
Hohe Beteiligung bei der ersten Abstimmung
An der Abstimmung schließlich nahmen 4853 Einwohner teil, von denen 3254 über das Internet und 1599 durch „klassische“ Stimmzettel abstimmten. Insgesamt haben an dieser ersten Abstimmung mehr als 4 Prozent der Einwohner teilgenommen, das ist etwa doppelt so hoch wie im ukrainischen Durchschnitt und somit ein sehr erfreuliches Signal für alle, die sich für den Slowjansker Bürgerhaushalt eingesetzt haben.
Welche Vorschläge haben aber nun die meisten Stimmen erhalten? Hier sind die „Wahlsieger“:
- Sterilisierung von heimatlosen Tieren (880 Stimmen), siehe Link oder auch diesen Videobericht (beides auf Ukrainisch)
- Anlegen eines „Workout Parks“ (751 Stimmen), siehe Link (Ukrainisch)
- Geräte für einen inklusiven Spielplatz (641 Stimmen), siehe Link (Ukrainisch)
Die Stadt Slowjansk und die KIEWER GESPRÄCHE freuen sich auf eine erfolgreiche Umsetzung der Projekte!