Die Rolle junger Menschen im ukrainischen state building wird immer wichtiger. Welche Möglichkeiten gibt es für die Jugend der Ukraine sich aktiv am zivilgesellschaftlichen und politischen Leben in eigenen Städten zu beteiligen? Wie kann der konstruktive Dialog mit der Verwaltung ausgebaut werden? Die jungen Seminarteilnehmer der Kiewer Gespräche in Pryazovia sowie Zakarpattia erhielten Antworten auf diese Fragen während des Netzwerktreffens, das in Uschhorod vom 15. bis 17. November stattfand.
Unsere Regionalkoordinatoren Galyna Balabanova (Mariupol) und Mykola Yatskov (Uschhorod) setzen sich mit dem Thema der Jugendpolitik auseinander. In diesem Interview teilen sie ihre Erfahrungen mit und berichten über die wichtigsten Herausforderungen in ihrer Region.
1. Erzählen Sie bitte über sich. Welche Rolle spielen die Kiewer Gespräche in der Entwicklung von Jugendinitiativen in Ihrer Region?
Galyna Balabanova: Ich bin Mitbegründerin des Bildungszentrums Halabuda in Mariupol und Koordinatorin der Kiewer Gespräche in Pryazovia. Ich bin an Jugendprojekten beteiligt und koordiniere Projekte an der Businessschule des Mariupoler Unternehmerverbands. Der Cluster Jugendpolitik und die Arbeit der Kiewer Gespräche in unserer Region im Allgemeinen sind eine wichtige Unterstützung für lokale proaktive junge Menschen. Es gibt kaum Jugendräte in den Kleinstädten der Region Pryazovia, daher unterstützt das Projekt aktive Jugendliche bei der Institutionalisierung der Jugendräte. So gewinnt die Jugend echten Einfluss auf die Entscheidungsfindung vor Ort. Die Kiewer Gespräche geben den jungen Menschen die Chance, ihre Initiativen und Träume zu verwirklichen.
2. Was ist Ihrer Meinung nach Jugendpolitik in den Gemeinden? Was sind die Besonderheiten Ihrer Region, wie ist die Situation in den Kleinstädten?
Galyna Balabanova: Die Jugendpolitik in Pryazovia ist ein besonderes Thema, da in den Kleinstädten fast keine Jugendlichen über 16 Jahren leben. Die überwiegende Mehrheit versucht rauszukommen, um in großen Städten zu studieren. Das bedeutet, dass es in den Jugendräten nur Abiturienten gibt, deren Meinungen bei Entscheidungen auf der Stadtebene nicht berücksichtigt werden. Die Situation in Berdyansk und Mariupol unterscheidet sich etwas, da es in diesen Städten eine studentische Jugend gibt, die aktiv die Initiative ergreift. Die Abhängigkeit von Monopolen und Oligarchie ist jedoch in mittleren und kleinen Städten in Pryazovia üblich, was entsprechende Auswirkungen auf die Jugend hat.
3. Wer nimmt an den Veranstaltungen teil, die mit Unterstützung der Kiewer Gespräche organisiert werden, und wie werden die Teilnehmer ausgewählt?
Galyna Balabanova: Im Jahr 2019 nahmen an den Kiewer Gesprächen Schüler und Studenten aus Zielstädten sowie die Erwachsenen teil, die direkt mit jungen Menschen in ihren Städten zusammenarbeiten. Dazu gehören auch Gemeindeaktivisten und aktive Schüler der lokalen Bildungseinrichtungen. Das Hauptauswahlkriterium für das Projekt ist ein Motivationsschreiben, aus dem wir schließen können, warum sich die Teilnehmer für das Projekt interessieren. Bei der Auswahl versuchen wir die jungen Menschen im Rahmen von Werbekampagnen in den Kleinstädten persönlich zu treffen. Bei direkten Gesprächen ist die Jugend offener und lässt sich leichter auf uns ein, wenn sie merkt, dass ihr auf Augenhöhe begegnet wird.
4. Was motiviert die Zielstädte, aktive Jugend zu unterstützen? Wie helfen Politiker oder die Stadtverwaltung?
Galyna Balabanova: Die Zielstädte und Stadtverwaltungen sind bereit, die Jugendinitiativen zu unterstützen, die am Ende ein gutes Bild abgeben. Es ist kein Geheimnis, dass es für Amtsinhaber wichtig ist, die Wähler durch Medien- und Vorzeigemaßnahmen sowie Infrastrukturprojekte zu beeinflussen. Wenn einige dieser Projekte von jungen Menschen initiiert werden und die Verwaltung nur eine Genehmigung für die Durchführung der Veranstaltung ausstellen muss, unterstützt sie diese aktiv, um die Veranstaltung später als eigene zu präsentieren. Wenn es jedoch darum geht, für Themen einzutreten, die für junge Menschen wirklich wichtig sind, wird die Zusammenarbeit recht kompliziert und erfordert einen längeren Kommunikationsprozess. In unserem Fall werden Jugendliche zunehmend von zivilgesellschaftlichen Aktivisten und Organisationen vor Ort sowie von kleinen Unternehmen unterstützt, deren Vertreter von der Bedeutung diesen Engagements für die künftige Entwicklung überzeugt sind.
5. Erzählen Sie bitte über sich. Welche Rolle spielen die Kiewer Gespräche in der Entwicklung von Jugendinitiativen in Ihrer Region?
Mykola Yatskov: ich würde mich als einen tief verwurzelten Uschhoroder bezeichnen, der für Kommunikationsfragen zwischen der Stadtverwaltung und Bürgern zuständig ist, sowie für die Erhaltung von Park Kirpichka („Ziegelchen“) sich einsetzt. Welche Rolle spielen die Kiewer Gespräche in der Entwicklung von Jugendinitiativen? Ziemlich bedeutende. Meiner Meinung nach weckte das deutsch-ukrainische Projekt die Zakarpattia-Jugend aus dem sogenannten Winterschlaf und motivierte sie dazu, ihr kreatives Potenzial zu verwirklichen.
6. Was ist Ihrer Meinung nach Jugendpolitik in den Gemeinden? Was sind die Besonderheiten Ihrer Region, wie ist die Situation in den Kleinstädten?
Mykola Yatskov: Unter diesem Ausdruck verstehen wir die Beteiligung der Jugend an Entscheidungsprozessen von der Stadtverwaltung auf verschiedenen Ebenen sowie die Selbstorganisation der Jugend zur Förderung gemeinsamer Interessen. Zu Beginn der Zusammenarbeit mit den Kiewer Gesprächen lag für mich die Herausforderung in den kleinen Städten in Zakarpattia. Historisch und geografisch gesehen sind junge Menschen in unserer Region fast abgeschnitten von Informationen, Erfahrungen und der Zusammenarbeit mit Jugendbewegungen aus anderen Regionen der Ukraine. Wir leben in einer Informationsgesellschaft und einer umfassenden Internetpräsenz, aber viele junge Menschen sind sich ihrer Chancen nicht einmal bewusst. Wir haben nur sehr wenige aktive NGOs, die Erfahrungen teilen und junge Menschen in Aktivitäten, Seminare, Freiwilligenarbeit usw. einbeziehen können.
7. Wer nimmt an den Veranstaltungen der Kiewer Gespräche teil und wie werden die Teilnehmer ausgewählt?
Mykola Yatskov: am Anfang haben wir mehrere Treffen in jedem Ort veranstaltet. Dabei haben wir Vertreter der kommunalen Selbstverwaltungsinstitutionen, Lehrer der lokalen Schulen, Aktivisten, Mitglieder der Sportvereine kennengelernt. Wir organisierten Treffen in den Bildungseinrichtungen usw. Danach verbreiteten wir in den sozialen Medien Ausschreibung für die Teilnahme am Projekt. Doch es war durchaus schwierig die interessierten jungen Menschen zu finden. Ein Teil der miteinbezogenen Teilnehmer hat noch nie etwas von Projekten gehört oder davon, wie verschiedene Verwaltungsorgane aufgebaut sind und wie sie sich voneinander unterscheiden. Geschweige denn davon, wie die Entscheidungen der kommunalen Selbstverwaltungsinstitutionen beeinflusst werden können und wie die Jugend die eigenen Interessen vertreten kann. Dennoch haben wir Schüler und Studenten aus kleineren Orten, junge Vertreter der lokalen Verwaltung und Lehrkräfte der Bildungseinrichtungen, Menschen aus unterschiedlichen Bereichen mit interessanten Erfahrungen, Vertreter diverser nationalen Minderheiten mobilisiert.
8. Was motiviert die Zielstädte, aktive Jugend zu unterstützen? Wie helfen Politiker oder die Stadtverwaltung?
Mykola Yatskov: alle Zielstädte sind mit dem gleichen Problem konfrontiert. Nach dem Schulabschluss zieht die Jugend auf der Suche nach guten Bildungsmöglichkeiten oder einem Job in größere Städte oder ins Ausland um. Beamte und Politiker sehen diese Tendenz und sind damit einverstanden, dass die Jugend in die Gemeindeentwicklung miteinbezogen werden soll. Wenn man in der Gemeinde gemeinsam mit Freunden Lösungen für Probleme finden kann, wenn man sich nicht weigert, Verantwortung zu übernehmen und ein Business zu starten, warum soll man dann überhaupt wegziehen?