Das Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung eröffnete am 27. März 2023 die "Plattform Wiederaufbau Ukraine“. Die Plattform soll die Kräfte aus kommunalen, privatwirtschaftlichen, zivilgesellschaftlichen sowie kulturellen Akteuren zusammenführen und einen Raum des Austauschs und der Synergiebildung bieten. Nach der Geberkonferenz für Regierungsvertreter*innen in Lugano im Juli 2022 und der in Berlin ausgerichteten Expertenkonferenz im Oktober 2022, folgt mit der Plattform Wiederaufbau Ukraine die Koordination mit innerstaatlichen Akteuren.
Die Kyjiwer Gesprächen trugen mit ihrer Expertise in der Arbeit mit lokalen Netzwerken in der Ukraine zur Podiumsdiskussion der Auftaktveranstaltung bei.
Das BMZ gibt mit der „Plattform Wiederaufbau Ukraine“ einen wichtigen Anstoß zur intersektoralen und internationalen Zusammenarbeit für den Wiederaufbau der zerstörten Ukraine. Wir tragen dazu gerne mit unseren Erfahrungen und Einschätzungen angesichts des beginnenden Wiederaufbaus bei.
Die „Kyjiwer Gespräche“ sind eines der ältesten Formate für die zivilgesellschaftliche Zusammenarbeit zwischen der Ukraine und Deutschland. 2005 ins Leben gerufen, unterstützen sie seit 2014 verstärkt in den ukrainischen Regionen Bürgerbeteiligung im Rahmen der Dezentralisierungsreform. Vor dem 24.2.2023 waren wir in 15 Oblasten und in 40 Mittel- und Kleinstädten der Ukraine aktiv. Ziel unserer regionalen Arbeit ist die Stärkung partizipativer Prozesse bei der Entwicklung von lokaler Demokratie.
Die „Kyjiwer Gespräche“ fördern lokale Bürgerbeteiligung durch drei verbundene Angebote:
Heute – ein Jahr nach dem Februar 2022 - sind die Kyjiwer Gespräche in den Regionen Uschhorod, Lwiw, Luzk, Tscherkassy und Winnyzja aktiv. Unsere Partner aus dem Süden und Osten des Landes sind in die Zentral- oder Westukraine oder ins Ausland geflohen. Viele von ihnen führen ihre Arbeit von dort aus fort. Schwerpunkt der Arbeit unserer Partnerorganisationen ist heute die Integration von IDPs in die städtischen und dörflichen Gemeinden.
Die kriegsbedingte Umstrukturierung unserer Arbeit in den ukrainischen Regionen basiert sowohl auf Ergebnissen von aktuellen Umfragen (siehe Council of Europe, Transatlantic Dialogue Center, Umfrage unserer Partner Prawo NGO in Winnyzja) als auch auf Berichten und Empfehlungen unserer lokalen Partnerorganisationen in der Ukraine, mit denen wir in ständigem Kontakt stehen.
In Winnyzja wurden BürgerInnen zu den Leistungen der örtlichen Verwaltung gefragt. Über 80 Prozent waren mit den Sozialämtern, Migrationsdiensten oder der Rentenversorgung zufrieden bzw. sehr zufrieden. Die weit fortgeschrittene Digitalisierung erhöht die Qualität der Angebote der Verwaltungen.
Eine funktionierende lokale Selbstverwaltung wird durchgehend als eine wesentliche Stütze der nationalen Resilienz wahrgenommen. Sie arbeiten weitgehend vorausschauend, datenbasiert bei der Versorgung von Binnengeflüchteten (Internally Displaced Persons - IDPs). In der Regel besteht eine gute vertikale Kooperation mit regionalen Militärverwaltungen. Hinzu kommt eine bemerkenswerte Bereitschaft (68%) zur horizontalen Kooperation mit NGOs, internationalen Partnern oder der Privatwirtschaft zur Verbesserung der Versorgungslage. 2021 waren weniger als die Hälfte zu Kooperationen bereit (47%).
70% der in der Region Winnyzja befragten IDPs planen, zu bleiben, weil die Lebensgrundlage in ihren Herkunftsregionen (vorwiegend Donezk) zerstört ist. 80% der befragten IDPs benötigen Grundversorgung wie Kleider, Hygieneartikel, Schuhe.
Die Sozialstrukturen in Städten und Gemeinden haben sich durch Krieg und Flucht grundlegend verändert, in kleinen Städten ist dies oft sichtbarer als in Großstädten.
Die in den Gemeinden eintreffenden IDPs sind teils passiv und hilfebedürftig, müssen mit Angeboten erreicht und unterstützt werden; teils sind sie aktiv und initiativ und bereit, die Aufnahmegemeinde mitzugestalten. Beide Situationen erfordern von den Aufnahmegemeinden flexible und angemessene Reaktionen.
Für die lokale Verwaltung kann Bürgerbeteiligung in Krisenzeiten gleichermaßen entlastend sein aber auch Stress bedeuten. Gemeinden mit Vorerfahrung in Partizipationsprozessen sind für die neue Situation besser gewappnet.
Das gleiche gilt für den zu erwartenden Ausbau der horizontalen Kooperation mit internationalen Partnern. Auch diese Prozesse sollten gestaltet und begleitet werden um effizient zu verlaufen. Wünschenswert ist der Aufbau von Dialogplattformen, die die lokalen Behörden bei der Entwicklung von horizontalen Kooperationen begleiten – A) mit lokalen Nichtregierungsorganisationen, Bürgerinitiativen und Wirtschaft; B) mit internationalen Donors und Partnern.
Fragt man die ukrainischen Gemeinden nach ihren aktuellen Bedürfnissen, rangiert der Aufbau demokratischer Strukturen derzeit absolut abgeschlagen (6%). Grundabsicherung durch Arbeitsplätze, wirtschaftliche Entwicklung (70%), Infrastruktur und Wohnungsbau (60%), humanitäre Hilfe und Erstversorgung (40%) besitzen die höchste Dringlichkeit.
Dort, wo lokale Demokratie und partizipative Prozesse in der Vergangenheit etabliert werden konnten, verfügen Gemeinden über bessere Ausgangsvoraussetzungen für komplexe Prozesse von der Integration von IDPs bis zur transparenten Gestaltung des Wiederaufbaus.
Die Auflösung des „Verbands offener Städte“ in Poltawa bedeutet eine erhebliche Schwächung der Kommunen bei den bevorstehenden Aufgaben des Wiederaufbaus.
Das von der Werchowna Rada bereits verabschiedete Gesetz Nr 5565 [Das Gesetzesvorhaben sieht vor, Städteplanung auf nationaler Ebene zu konzentrieren und den lokalen Selbstverwaltungen lediglich eine Aufsichtsfunktion zuzubilligen.] würde die Transparenz des Wiederaufbaus durch die Gemeinden wesentlich behindern, wenn es denn auch vom Präsidenten noch ratifiziert würde.
Ca. die Hälfte der Befragten spricht sich für einen grünen, ökologischen Wiederaufbau aus, auch wenn er länger dauern würde. Vom Ausland wird neben der finanziellen Unterstützung mehrheitlich auch eine Kontrolle und Supervision der am Wiederaufbau beteiligten einheimischen Firmen erwartet.
Internationale und insbesondere deutsche Zuwendungsgeber sind dringend gefordert, überbürokratisierte Strukturen zu verschlanken, um schneller und effizienter auf den Ausnahmezustand reagieren zu können.
Freie Träger werden sowohl vom BMZ wie inzwischen zunehmend auch vom Auswärtigen Amt über Gebühr mit Verwaltungsanforderungen belastet, die keinen Mehrwert in Bezug auf Effizienz oder Transparenz bringen, die aber zeitliche Verzögerung und erhöhten Personaleinsatz auf beiden Seiten (bei Zuwendungsgeber und Zuwendungsempfänger) bedeuten. Leidtragend sind die ukrainischen Partnerinnen und Partner.